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Die Dialektik des Sven-Ole Frahm

Sven-Ole Frahm ist ein Künstler, bei dem die Klassifizierung ob er Maler oder Bildhauer sei, nicht zu entscheiden ist. Zwar hängen seine Arbeiten wie Bilder an der Wand, was einen flüchtigen Betrachter dazu verleiten wird, von einem Maler zu sprechen, jedoch verhandeln sie raumgreifende Prinzipien, wie sie eben nur der Skulptur zu eigen sind. Interessant wird diese Annahme ebenfalls dadurch, dass die rein abstrakten, häufig monochromen Farbflächen als raumlose Konstruktionen auf dem Bild motivlos verortet scheinen. Ein Prinzip des deutsch-französischen Tachismus der 50er Jahre, der vom abstrakten Fleck ausgehend in den amerikanisch abstrakten Expressionismus der 50er und 60er Jahre einfloss, bis er schliesslich als Colourfield- und Farbfeldmalerei neuen Rhythmen gehorchte. Die bei Frahm angewandte Technik des Paint and Cut and Paste ist eine folgerichtige Fortentwicklung mit ganz unge-wohntem Ausgang.

Auf dem Boden liegende Stoffbahnen werden mit Farbe beschüttet, wie es von den Drippings Jackson Pollocks bekannt ist. Hieraus werden Teile geschnitten, die einer vorgegebenen geometrischen Figur folgen und einem bestimmten Größenverhältnis unterworfen sind. Diese Schnittmuster fügen sich zu einem neuen Bild mit eigener Geometrie zusammen, welches für die Hängung an der Wand konzipiert ist. Der Bildfindungsprozess ist insofern genauso präkonzipiert wie auch völlig unkontrolliert, da das auf dem Boden liegende Bild als ein geschüttetes Ganzes auf seine Formqualitäten hinsichtlich der vorgefassten geometrischen Formen als rechteckiges Ensemble vertikal hängend gedacht wird. Ein getätigter Schnitt ist endgültig und kann mehr oder weniger wie bei einem Puzzle nur in eine bestimmte Formation eingefügt werden. Sven-Ole Frahm kommt als Erfahrungshorizont hierbei die von ihm während seines Aufenthaltes in der Villa Romana 2003 angewandte Methode der Dripping- und Schüttungsmalerei zupass. Der hierin liegende Bewegungsimpuls, die Geschwindigkeit und Dynamik der Geste, die Einheit von Bewusstem und Unbewusstem artikuliert sich als energetische Farbverteilung auf der Fläche bzw. im Bildraum. Unendlichkeit und Leere, der Blick in den Himmel, Feuer und Wasser, Wolken, das reine Licht sind dabei ebenso sinnverwandte Assoziationen unseres kulturellen Bildgedächtnisses wie das banale Erinnern an die Spontaneität und Freude anzeigenden Farbkleckse auf Autolack vor einigen Jahren. Auch wenn die Syntax überwiegt und an Semantik scheinbar Mangel herrscht, vermögen sich hinter den Abstraktionen auch Zeichen menschlicher Kommunikation zu verbergen. Auffallend sind Kontraste innerhalb der ephemeren und beschleunigten Licht– gleich Farbstimmungen, die durch Schnitte und harte Bruchkanten der Geometrie der Felder irritieren. Frahm selber spricht hier in Analogie zur Musik von lauten und leisen Zonen.

Nun hat das Licht (und mehr mythisch das Feuer) als Medium der Erkenntnis schon einige hinter dasselbe geführt, gleichwohl stellt sich unter dem Welle-Teilchen-Dualismus womöglich jeder etwas anderes vor, und allein Physiker verstehen die Erkenntnisse der Quantenmechanik. Licht hat einerseits Teilchencharakter und andererseits auch Wellencharakter, wobei wesentlich ist, dass beide Eigenschaften immer vorhanden sind. In der klassischen Physik betrachtete man die Erhaltung der Energie und der Masse als zwei strenge aber unterschiedliche Naturgesetze. Die Relativitätstheorie sagt uns, dass Masse eine Form der Energie ist: E = mc2.

Begreift man die diesem Dualismus unterliegenden "Erscheinungen" als eigenständige Objekte, so löst sich die Widersprüchlichkeit der Zwitterexistenz auf, was eben auch für die mit Lichterscheinungen operierenden und vergleichbaren Arbeiten Sven-Ole Frahms gilt. Seine Arbeiten sind Bilder, die der Dialektik von Licht, Masse und Energie als Form weitaus näher stehen, als es aussieht. Er thematisiert ein abstraktes „all-over“ der Prozessualität und Offenheit, in der das einzelne zum Ausschnitt eines fortwährenden Kontinuums bestimmt ist wie eine Arena im Rosenbergschen Sinne, in der es zu agieren gilt. Eine architektonische Analogie erleben wir in dekonstruktiven Bauten: Statik und Explosion. Frahm befragt kritisch die Möglichkeiten neuer alter Ober- flächenwerte bis zu deren fortwährender Manipulation, Zersplitterung, Fragmentierung, Codierung: Pathos und Distanz. Der Schnitt, der Cut des Urbildes ist sowohl provokantes Zitat und Hommage an Fontana wie auch strukturelles Element des Beginns eines an Zeit und Raum gebundenen Abbilds, mithin der Widerpart und simultaner Anti-Referenzrahmen heutiger Simulations-praxis. Gefühl und Härte.

Die Reduktion auf Prinzipien, die sich mit dem verschmitzten Sinn für die Konstruktion mischt, hat er von seinen Lehrern Meuser und Kiecol. Das Neue bei Frahm jedoch ist gerade die respektlose Bezugnahme auf das malerisch-abstrakte Geschichtsbild und ein Antipode zur unterkühlten Raumwahrnehmung computergenerierter Fassadenzersplitterungen.

Er widmet sich dezidiert - im Lichtschweif des brutalen Antimaterialismus – einem subjektivierten Konstruktivismus, den er ökonomisch mit einem zutiefst humanen Raumempfinden verbindet. Eine Härte und Direktheit, die aber auch permanent von Verletzlichkeit und Zurücknahme geprägt ist. Die Möglichkeiten der abstrakten Malerei stießen als Medium (der Erkenntnis) an eine Grenze. Hier ist diese wie bei einer Membran mittels einfacher Dialektik durchlässig, das Naturhafte ihres Zustandes durchströmt das Werk und huldigt als Lichterscheinung eben jenem Farb-Raum-Dualismus. In Sven-Ole Frahms Fokus steht eine Offenheit, die auch ein Humanismus ist. Ein zutiefst ästhetisch moderner wahrscheinlich, mit fragendem ungewissen Ausgang; der aber genau den Zustand mit bekanntem Ausgang befragt, obwohl es gar nicht so aussieht. Aber das sagte ich ja bereits.

Gregor Jansen